Wie funktioniert die Interpretation von Musik in Gebärdensprache?

Despacito, Gangnam Style, Alors on danse – drei unglaublich erfolgreiche Lieder, in Sprachen, die nicht jeder in Deutschland verstehen kann. Und trotzdem kennt wahrscheinlich so gut wie jede:r diese Lieder. Denn Musik ist international, kultur- und sprachenübergreifend. Wir können Musik lieben, ohne den Text zu verstehen. Wir können die Texte übersetzen, wenn uns ein Lied besonders interessiert. Und dadurch verbindet sie uns auch mit Menschen überall auf der Welt. Durch Konzerte, Festivals, Social Media und noch so viel mehr.

Und oft scheinen wir dabei doch Menschen zu übersehen oder nicht mit einzubringen. Schließlich muss Musik akustisch gehört werden, oder nicht? Grenzen wir dadurch nicht automatisch Menschen mit einer Hörbehinderung aus? Dabei ist Musik für jeden zugänglich. Weil sie mehr als nur Töne ist. Weil sie mehr als nur Text ist. Denn Musik kann in Gebärden interpretiert werden, so dass Musik wirklich für jeden zugänglich und spürbar ist. Und wie genau funktioniert die Interpretation von Musik in Gebärdensprache? Ist das mehr als nur die Textübersetzung?

Was ist Gebärdensprache?

Vielleicht ist es für einige überraschend, dass es sich bei der Gebärdensprache tatsächlich um verbale Kommunikation handelt. Auf den ersten Blick scheint es sich doch um nonverbale Kommunikation zu handeln, schließlich wird mit den Händen kommuniziert. Als ein Art Pantomime und Körpersprache, oder nicht?
Doch hinter der Gebärdensprache steckt ein eigenes Sprachsystem, welches über Worte kommuniziert. Und nonverbale Kommunikation bezeichnet eine Kommunikation, die ohne Worte stattfindet. Im Gegensatz zu intuitiver Köpersprache, muss Gebärdensprache nämlich gelernt werden.

Es gibt übrigens nicht DIE EINE Gebärdensprache. Weltweit gibt es rund 200 verschiedene Gebärdensprachen, die jeweils ihre eigenen Dialekte enthalten. In Deutschland spricht man von der DGS (Deutsche Gebärdensprache), in Frankreich gibt es die LFS (langue des signes française) und in Nordamerika wird die ASL (American Sign Language) verwendet.

Elemente von der Gebärdensprache

Wie grade bereits erwähnt ist die Gebärdensprache ein eigenes Sprachsystem, das über Worte kommuniziert. Und dieses Sprachsystem unterscheidet sich von der jeweiligen Lautsprache. Der zentrale Bestandteil der Gebärdenkommunikation sind – wie der Name schon verrät – die Gebärden. Neben den Händen sind jedoch auch auch Mimik, die restliche Körpersprache und besonders die Mundbewegungen von großer Relevanz für die Kommunikation.

Die Gebärden sind, bei genauerer Betrachtung, in vier Bestandteile aufgeteilt. Die Konfiguration der Hand, also die Form dieser, ist ausschlaggebend. Außerdem ist die Platzierung der Hand entscheidend; ebenso wie die Ausrichtung der Handfläche. Ebenfalls zentral ist die Ausführung der Bewegung der Hand und der einzelnen Finger. Durch diese Möglichkeit der Differenzierung können viele Informationen in einer einzelnen Gebärde ausgedrückt werden.
Zu diesen Gebärden kommen die sogenannten “nonmanual marker” hinzu; diese beziehen sich auf die Mimik, auf die Mundbewegung und auf die Gestik und restliche Körpersprache.

Musik und Gebärdensprache

Musik ist kultur- und sprachenübergreifend. Auch ohne die jeweilige Sprache zu verstehen, können wir Musik genießen und lieben. Sie verbindet uns mit Menschen, überall. Doch bei Menschen mit einer Hörbehinderung scheint diese Verbindung aufzuhören. Wie können wir etwas mit jemandem teilen, der die Musik nicht hören kann? Doch das ist ein Irrtum. Musik kann uns – ob hörend oder nicht hörend – näher zusammen bringen. Menschen mit einer Höreinschränkung sind nicht alle gleich eingeschränkt. Einige können tiefe Frequenzen wie Basstöne hören, andere hingegen eher hohe Frequenzen. Hörgeräte können dies zudem unterstützen. Livekonzerte sind also auch für Menschen mit Hörbehinderung ein besonderes Erlebnis.

Wenn wir Musik hören, dann lässt sie uns Dinge fühlen, Dinge spüren. Durch die Lyrics, durch die Musik, durch Tempo und Klang. Und diese Gefühle und dieses Erleben, das können wir kommunizieren. Wir können Gehörlosen zeigen, wie wir Livemusik empfinden und wie wir allgemein Musik empfinden. Und dann verbindet Musik uns wieder – auf eine völlig neue Weise.

Interpretation der Musik durch Gebärdensprache

Musik kann in Gebärdensprache interpretiert werden. Doch der Weg zu Dolmetscher:innenn, die auf Konzerten Eminems Rap God interpretieren und performen, hat einen langen Weg hinter sich. Lange Zeit wurde einfach die Gebärde für Musik gezeigt, wenn Musik auf Veranstaltungen gespielt wurde. Doch die bloße Info “Musik” vermittelt weder Inhalt noch Gefühl noch irgendein Indiz, um was für Musik es sich handelt. Im Laufe der Zeit fingen Dolmetscher:innen an, die Liedtexte zu übersetzen, so dass ein inhaltliches Verständnis der Musik vorliegt. Doch theoretisch könnten die Wörter doch auch einfach nachgelesen werden, oder?

Doch da kommt die wirkliche Interpretation ins Spiel. Denn es macht schließlich für uns einen Unterschied, ob die Musik schnell oder langsam, laut oder leise, tief oder hoch ist. Es gibt fröhliche Lieder mit traurigen Texten und umgekehrt. Es macht einen Unterschied, ob Barbara Streisand oder Whitney Houston die US-amerikanische Nationalhymne singt. Denn all das macht Musik so besonders, dass sie immer und immer wieder neu und individuell ist.

Einige Gebärdendolmetscher:innen setzen genau dort an, an dieser Besonderheit und Individualität und interpretieren die Musik so, dass alles an ihr auch ohne Hören verstanden werden kann. Nicht nur der Text, sondern die Musik wird sichtbar gemacht. Die Gebärdensprache enthält durch die Verschiedenen Elemente von Gebärden, Mimik und Gestik eine Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten.

Wie genau funktioniert das?

Wenn ein:e Rapper:in auftritt, dann soll die Interpretation das gleiche Gefühl vermitteln, was die Performance vermittelt. Gleiches gilt für jede Art von Musik: Sie soll sichtbar gemacht werden. Und dafür ist die Emotionalität, aber auch die Dynamik, der Flow und natürlich auch der Text grundlegend. Dies zu interpretieren bzw. zu übersetzen erfordert besondere Skills von den Dolmetscher:innen. Spontanität, Empathie, Begeisterung für Musik und Kreativität sind unabdingbar für sie.

Doch wie genau funktioniert das jetzt, diese Interpretation? Dank der zahlreichen Elemente der Gebärdensprache, gibt es eine vielfältige Ausdrucksmöglichkeit. Die Position der Hände auf Schulterhöhe zeigt, dass hohe Töne gespielt werden; werden die Hände auf Hüfthöhe positioniert, so sind in diesem Moment tiefe Frequenzen zu hören. Aufgeblasene Wangen zeigen normalerweise an, dass über eine sehr kräftige Person gesprochen wird. Aber auch für die Interpretation kann das genutzt werden: aufgeblasene Wangen zeigen einen fetten Bass an. Mit den Händen können zusätzlich die Soundwellen gezeigt werden; Rhythmus und Tonlage mit Gesichtsausdrücken.


Der Körper der Dolmetscher:innen zeigt den Groove, das Gefühl, dass die Musik vermittelt. Sie gebärden Luftgitarren, Trompeten, Schlagzeug und jedes andere Instrument, dass besonders zur Geltung kommt. Sie tanzen, performen und leben die Musik auf der Bühne.

Besonders schwierig ist es, Wortspiele, Reime und Metaphern in Gebärden zu übersetzen; im gleichen Tempo wie das Lied performt wird. Doch oft sind es genau diese Sachen, die ein Lied besonders machen. Die Dolmetscher:innen geben ihr bestes, dem Original gerecht zu werden. Besonders bei Rap und HipHop stellt dies eine Herausforderung dar, da diese Musik von Wortspielen und einem schnellen Tempo lebt. Durch Kombinationen von verschiedenen Gebärden zu neuen Gebärden kann beispielsweise die Cleverness der Wortspiele gezeigt werden.

Die besten Beispiele

Und weil es einfach schwer ist, sich das theoretisch vorzustellen, haben wir ein paar kleine Empfehlungen, für kunstvolle und wahnsinnig gute Interpretationen von einigen Lieder – auf Konzerten, auf Youtube, überall da, wo Musik eben ist.

Amber Galloway Gallego ist eine bekannte Gebärdendolmetscherin. Sie übersetz live auf Festivals, Konzerten und Veranstaltung, aber besonders ihr Cover von Rap God von Eminem ist beeindruckend. Die Geschwindigkeit des Raps inklusive Inhalt, Musik und Gefühl zu übermitteln, ist ein Meisterwerk aus unserer Perspektive. Die Live-Perfomance von Holly Maniatty von Rap God ist vielleicht sogar noch ein Stück beeindruckender. Hier bekommt man das reale Konzertfeeling mit. Versuche doch mal, das Video ohne Ton zu gucken und dich auf die Gebärden zu konzentrieren. Einfach so.

Die Interpretation einer Dolmetscherin auf einem Wacka Flocka Konzert sorgte für große Aufmerksamkeit. Denn der Rapper hielt die Dolmetscher:in für eine Tänzerin und fing an, mit ihr zusammen zu tanzen. Einen Ausschnitt davon findet ihr hier

Libby von thedailysmile ist 2015/2016 mit ihren Gebärdencovern von bekannten Songs auf Youtube viral gegangen. Einfach aus persönlichem Interesse hat sie die amerikanische Gebärdensprache ASL gelernt und covert auf YouTube viele Lieder. Eine große Empfehlung ist ihr Cover von Heathens – TwentyOnePilots, in dem die Interpretation der Musik durch Gebärdensprache gut und interessant zu sehen ist.

Und falls du dich für eine deutsche Interpretation interessierst, dann findest du hier ein Video der Dolmetscherin Laura M. Schwenger, die auf der NDR-Sommertour die Musik für Menschen mit Hörbehinderung sichtbar machte.

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