Die Renaissance der Schallplatte

Die Schallplatte ist wieder da! Auch wenn sie nie wirklich weg war, ist sie in den letzten Jahren wieder unglaublich beliebt geworden. Zahlreiche Künstler*innen bieten Schallplatten als Teil vom Merchandising an; in den Innenstädten und Hipster-vierteln sprießen die Plattenläden hervor; die Regale in zahlreichen Geschäften sind mit Schallplatten gefüllt und selbst in Klamottengeschäften und Supermärkten kann man Schallplatten kaufen. Doch woher kommt dieser Trend, dieser Anstieg in den Verkaufszahlen? Und wer kauft denn Schallplatten eigentlich?

Die Geschichte der Schallplatte

Der Ursprung der Schallplatte liegt in den 1870er Jahren mit der Erfindung des Phonographen. In den 1920er Jahren setzt sich die sogenannte Schellack-Plate als dominanter Tonträger durch; diese wird in den 40er Jahren durch die Vinyl-Schallplatte ersetzt. Der Absatzhöhepunkt folgt in den 1970er Jahren. Als in den 80er Jahren die CD eingeführt wird, wird die Schallplatte langsam aber sicher substituiert. Denn wer braucht noch unhandliche Schallplatten, wenn es moderne CDs gibt?

Nach ihrem Tief in den 1990er Jahren steigen die Umsätze Anfang der 2000er langsam wieder an. Während 2009 in Deutschland ein Umsatz von ungefähr 9 Millionen Euro erzielt wurde, so waren es 2019 schon 70 Millionen Euro mehr¹. Ein Meilenstein im Wiederaufstieg der Schallplatte ist die Einführung der Vinylcharts im Jahr 2015. Der Anstieg am Verkauf von Schallplatten ist in den 2010ern so stark gestiegen, dass es sich lohnte, die Charts einzuführen. Woher sonst wüssten wir, dass Billie Eilish mit Happier than ever aktuell auf Platz 1 der Deutschen Vinyl Charts liegt².

Aber wer kauft eigentlich Schallplatten? Und wieso?

Die Frage lässt sich nicht so leicht beantworten, da es nicht DEN Stereotypen von Schallplattenkäufer*innen gibt. Vielmehr gibt es viele kleine Gruppen, die aus den verschiedensten Gründen immer noch oder wieder Schallplatten kaufen.

Da sind zum einen diejenigen, die mit der Schallplatte aufgewachsen sind. Einige von ihnen kaufen immer noch Schallplatten, einige kaufen wieder Schallplatten. Der Hauptgrund hierfür: die Nostalgie. Die Schallplatte ruft Erinnerungen an die Kindheit und Jugend hervor, man fühlt sich dahin zurückversetzt. Bei manchen Personen ist es auch die Gewohnheit, die weiterhin zum Schallplattenkauf verleitet; moderne Medien und Streaming sind Dinge, an die sie sich nicht gewöhnen wollen oder können.

Zum anderen sind da Sammler*innen. Schallplatten sind ein beliebtes Sammlerprodukt. Seltene Schallplatten im Regal dienen als eine Art Statussymbol. Sie symbolisieren einen bestimmten Lifestyle und vermitteln den Besitzer*innen ein Gefühl von Prestige. Seltene Schallplatten können außerdem als Wertanlage dienen; wenn man die richtigen Schallplatten sammelt, dann steigert sich der Wert mit jedem Jahr.

Eine weitere Gruppe an Schallplattenkäufer*innen sind Second Hand Käufer*innen. Die Motivation liegt besonders darin, den Konsum-Hype nicht zu unterstützen. Oft werden diese Käufer*innen auch mit systemkritischen Einstellungen verbunden; die moderne Musikindustrie, die Streamingkultur, das alles soll nicht unterstützt werden. Eine Art indirekte Rebellion, könnte man sagen.

Immer häufiger bieten auch große Stars Schallplatten an. Ob Billie Eilish oder Taylor Swift – viele neue Alben werden ebenfalls als Schallplatten herausgebracht. Für Fans ist das verlockend. Es ist eine neue Möglichkeit, ihre Lieblingskünstler*innen zu unterstützen. Zugleich ist es ästhetischer Merch, der gleichzeitig noch eine schöne Deko ist. Außerdem können Fans ihre Albensammlungen nun auch mit einer Schallplattensammlung ergänzen. Die Labels können außerdem alte Alben wieder neu auf Schallplatte rausbringen – so kann mit bereits existierender Musik wieder leicht Gewinn gemacht werden.

Auch bei Klangliebhaber*innen ist die Schallplatte beliebt, denn ihr Rauschen und Knacken bietet einen einzigartigen Klang für die Hörer*innen und bietet sowohl einen praktischen als auch ästhetischen Nutzen.
Und dann sind da noch die DJs, die wortwörtlich noch Platten auflegen – und dementsprechend auch kaufen. Und natürlich gibt es auch Gelegenheitskäufer*innen, die vielleicht keiner dieser Gruppen angehören und trotzdem ab und an mal eine Schallplatte kaufen.

Gründe für den Wiederaufstieg der Schallplatte

Der Retro- und Vintagetrend ist einer der Auslöser für den vermehrten Kauf von Schallplatten. Sie sehen ästhetisch aus, bieten gutes Fotomaterial, dienen als Deko und erinnern an die Vergangenheit. Musik übers Handy hören bietet nicht das Gefühl der Musik; der Plattenspieler hingegen schon. Das Besitzen und Abspiele von Schallplatten galt zudem lange als etwas, was gegen den Mainstream ist. Einige Leute haben in der Schallplatte ihr bevorzugtes Medium gefunden, was nicht den Mainstream Kassetten, CDs und Streamingsdiensten entspricht. Mit dem zunehmenden Trend wird die Schallplatte jedoch demnächst wieder als Mainstream gelten.

Im Zeitalter der Digitalisierung und des Streamings haben wir eine andere Beziehung zur Musik: wir können alles hören, egal was, egal wann, egal wo. Alles ist für uns online verfügbar. Doch manchmal sehnen wir uns nach Authentizität, nach etwas Echtem; auch als Rematerialisierung bekannt. Wir wollen nicht alles konsumieren, wir wollen weniger aber dafür bewusster kaufen. Und die Schallplatte bietet uns das. Diese Gefühl, bewusst etwas gekauft zu haben. Es genießen zu können. Sich darum zu kümmern, Schallplatte und Plattenspieler zu reinigen, zu pflegen. Die Schallplatte wird deshalb auch als Slow Food der Musik bezeichnet. Denn damit ist Musik hören keine alltägliche Hintergrundhandlung mehr, sondern etwas, für das wir uns bewusst entscheiden. Es wird eine Art Ritual, ein Erlebnis. Es wird eine bestimmte Schallplatte eingelegt, sich genau auf diese Musik konzentriert, eine bewusste Pause für die Musik eingelegt.

Der Raritätenfaktor von Schallplatten ist ebenfalls ein Kaufauslöser, der besonders durch limitierte Auflagen unterstützt wird. Leidenschaftliche Sammler*innen kaufen Schallplatten, aber durch Limited Editions werden auch Nicht-Käufer*innen angesporchen. Denn wenn etwas selten ist, dann will man es haben – egal, ob man einen Plattenspieler hat oder nicht.

Schallplatten haben außerdem einen Romantik-Faktor. Denn ist es nicht romantischer, mit Musik aus dem Plattenspieler bei Kerzenschein zu tanzen, als mit seiner Spotify-Playlist?


Auch für echte Rock und Pop Fans ist die Schallplatte ein Muss. Musik, die für Schallplatten produziert wurde, sollte auch auf diesen gehört werden. Nur so bekommt man das authentische Feeling und Hörerlebnis.

Veröffentlichung als Vinyl

Wir wissen jetzt, warum es Menschen gibt, die Schallplatten kaufen und welche Gründe den aufsteigenden Hype unterstützen. Doch warum veröffentlichen Labels noch oder wieder auf Schallplatte? Dafür gibt es vor allem zwei Erklärungen.

Für Major Labels dienen Schallplatten besonders als Zusatzprodukt im Merchandise; ein weiteres Produkt, was Fans kaufen, um ihre Stars zu unterstützen. Durch die Masse an Schallplatten, die Major Labels produzieren, fallen kaum Kosten für sie an; außerdem lassen sie bereits CDs herstellen, weitere Schallplatten machen kaum einen Unterschied für sie. Außerdem gibt es natürlich auch verhandlungsstarke Künstler*innen, die selbst Schallplattenliebhaber*innen sind und ihre Musik auch auf Vinyl veröffentlichen möchten.

Für Independent Labels und Künstler*innen ist die Schallplatte teils überlebenswichtig. Der digitale Markt ist im Zeitalter des Streamings so groß und unübersichtlich, dass es nahezu unmöglich ist, dort aufzufallen. Der Schallplattenmarkt hingegen ist kleiner und persönlicher; hier kann es neuen Künstler*innen leichter gelingen, Aufmerksamkeit zu bekommen. Dadurch kann eine Band beispielsweise schon einen Kundenstamm und eine Fangemeinde aufbauen. So gibt es bereits Hörer*innen, die die Band auch beim digitalen Release unterstützen und ihr so helfen, mehr Fans zu gewinnen. Die Schallplatte kann so als eine Art Katalysator für den digitalen Markt betrachtet werden.

Problematik durch den Vinyl-Hype

Durch die Renaissance der Schallplatte ist sie keine Seltenheit mehr; ihr Raritätencharakter nimmt ab. Das nimmt vielen Leuten den Zauber der Schallplatte. Schließlich war es etwas besonderes, dass sie kein Mainstream-Produkt war. Inzwischen sieht das anders aus; die meisten großen Künstler*innen bringen ihre Musik auch auf Schallplatten heraus. Die großen Labels verdrängen nun Indie Labels vom Markt. Große Labels werden bei der Produktion bevorzugt und betreiben untereinander einen Preiskampf, der zu einer Existenzbedrohung der unabhängigen Labels führt, die nicht mithalten können.

Besonders schwierig ist der Wiederaufstieg der Schallplatte jedoch hinsichtlich der Produktion. Es gibt kaum noch Presswerke, in denen die Schallplatten hergestellt werden können. Während es in Deutschland drei Werke gibt, so gibt es im Rest von Europa ebenfalls nur noch drei Werke. Bei dem plötzlichen Anstieg der zu produzierenden Schallplatten, sind die Presswerke überlastet; die Wartezeit beträgt mehrere Monate für Veröffentlichungen. Besonders problematisch ist dies für Indie Künstler*innen, deren Existenz von den Schallplattenveröffentlichungen abhängt. Doch es gibt noch weitere Probleme diesbezüglich. Viele Prozesse laufen per Hand ab und erfordern Spezialwissen. Die meisten Maschinen sind alt; für einige gibt es wenige oder keine Ersatzteile mehr. Die Materialien für die Produktion sind teuer und können nur durch wenige Lieferanten bereitgestellt werden. Als die Schallplatte kurz vor dem Aussterben war, hat niemand in die Zukunft investiert – schließlich war der Wiederaufstieg nicht abzusehen.

Der Record Store Day

Der Record Store Day ist ein ganz besonderer Tag für Schallplatten-Liebhaber*innen weltweit. Allein in der Region D-A-CH nehmen über 250 Plattenläden daran teil; es gibt Instore Gigs, Meet & Greets und über 500 exklusive Veröffentlichungen. Durch Sonderauflagen, Limited Editions und unveröffentlichte B-Sides wird ein Hype ausgelöst, der unter anderem auch neue Zielgruppen anlockt. Denn wenn etwas selten ist, dann will man es haben. Doch damit wird die Schallplatte immer mehr zum Mainstreamprodukt, was ihr den Zauber ein wenig nimmt. Zudem werden durch den Record Store Day massenhaft neue Schallplatten produziert, obwohl die Presswerkte mit den normalen Veröffentlichung bereits mehr als überlastet sind. Ob der Record Store Day der Plattenindustrie nun hilft oder schadet – darüber lässt sich streiten.

Die Zukunft der Schallplatte

Auch wenn besonders der Nostalgie-Faktor ein entscheidendes Merkmal dieser ist, so gibt es auch Investitionen in die Zukunft der Schallplatte. 
Einige Unternehmen bieten mittlerweile umweltfreundliche Schallplatten an. Bei der Re-Vinyl von Optimal Media wird die nachhaltige Schallplatte durch betriebsinterne Materialrückgewinnung produziert und klimaneutral verpackt; die Klangqualität bleibt jedoch weiterhin erhalten. Gute Idee, finden wir!
Die HD-Vinyl eines Österreicher Unternehmens soll eine längere Spielzeit, verbesserte Klangqualität und einen schnelleren Herstellungsprozess garantieren. Außerdem soll die Produktion der HD-Vinyl umweltfreundlicher ablaufen. Wie das ganze in der Realität aussieht? Wir warten gespannt auf den Start der Produktion.

Wie man sieht, gibt es nicht DIE Antwort auf die Frage, warum wieder mehr Menschen Schallplatten kaufen. Viel mehr ist es eine Mischung aus den verschiedensten Gründen. Wir lieben es, dass die Schallplatte wieder mehr Aufmerksamkeit bekommt, auch wenn der Hype seine Schattenseiten mit sich bringt.

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¹ Du fragst dich, wo die Zahlen herkommen? Dann schau mal hier beim Bunderverband Musikindustrie e.V. vorbei.
² Und für die Deutschen Vinyl Charts kannst du hier vorbeischauen

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